Die Leerstelle des politischen Liberalismus in der Bundesrepublik
In: Demokratie - Kultur - Moderne: Perspektiven der politischen Theorie, S. 53-64
Der Autor vertritt die These, dass der Liberalismus in Deutschland heute keine ernst zu nehmende politische Kraft mehr ist. Es gibt in der Bundesrepublik keine politische Partei und keine politische Bewegung, keine wirkungsmächtige Tradition in der politischen Kultur und auch keine bedeutende intellektuelle Strömung, die sich eindeutig und überzeugend der Verwirklichung eines Programms des politischen Liberalismus verschrieben hätte bzw. einer solchen Unternehmung zuträglich wäre. Der politische Liberalismus ist in der Bundesrepublik Deutschland somit eine "Leerstelle". In dieser Hinsicht unterscheidet sich Deutschland signifikant von seinen westlichen Nachbarn und Verbündeten, etwa den Niederlanden, Großbritannien und insbesondere den Vereinigten Staaten von Amerika. Dieser Unterschied hat weitreichende politische Folgen, denn die Autonomie einer freiheitlichen Lebensführung wird letztlich mit einem staatlichen Zwang konfrontiert, der in diesem Maße nicht zu rechtfertigen ist. Diese These steht in einem nicht aufzulösenden Spannungsverhältnis zur gegenwärtigen geschichtspolitischen Erzählung von der nachhaltigen und nahezu unumkehrbaren "Verwestlichung" Deutschlands, der politisch-kulturellen Annäherung an den Westen in Zeiten der Bonner Republik und deren Vollendung im vereinigten und fest in Europa eingebetteten deutschen Staat, der "Berliner Republik". (ICI2)